Männer und Feminismus

11.10.2019
Blogbeitrag von Nils Jocher
«Alte. Schlimmer wiene Meitli!» nervte sich mein Sandkasten-Freund mir gegenüber, als ich mich nicht traute nachts auf die Baustelle neben unserem Haus zu klettern. Wir waren neun. Meine Mama hatte es mir ausdrücklich verboten. Erst Jahre später verstand ich, welch tragisches Geschlechterbild in dieser Aussage steckte. Aber mit solchen und anderen sexistischen Äusserungen sind wir alle aufgewachsen. Vermutlich haben wir selber auch zig Klischees immer und immer wieder aufleben lassen, ohne uns gross Gedanken dazu zu machen. Das sollten wir überdenken.
Die «typische» Schubladisierung in «Männer» und «Frauen» hat uns wenig gebracht.Es gibt jetzt zwar einige Vorstellungen wie man sein künftiges Leben gestalten könnte. Ich könnte z.B., so wie mein Grossvater den ganzen Tag arbeiten und mich kaum um die Kinder kümmern. Oder ich könnte wie meine Grossmutter den Haushalt samt Kindern managen, im Betrieb des Mannes helfen, und dafür keinen Lohn bekommen. Beides nicht so prickelnd. Und mindestens bei der Variante meiner Grossmutter würde ich als Mann wohl noch immer etwas belächelt, was diese Variante nochmals unattraktiver macht.
Wir haben jetzt klare Vorstellungen wie sich Menschen zu kleiden haben. Männer eher so mit Hemd und Frauen eher so mit Kleid. Die Einteilung der Geschlechter nehmen wir innert Sekunden durch Äusserlichkeiten vor. Was die entsprechenden Menschen fühlen ist grossmehrheitlich egal. Statistiken, die entlang dieser binären Männer/Frauen-Kategorisierung verlaufen zeigen einige Dinge sehr klar. Da, wo es um Macht und Geld geht sind wenige Frauen: Nicht im Parlament, nicht in den Unternehmensspitzen, nicht in den Medien, ja nicht einmal in derselben Lohnkategorie. Wer jetzt denkt Männer hätten mit dieser Einteilung nur gewonnen – Pustekuchen. Mehr Selbstmordversuche (und mehr erfolgreiche), mehr Gefängnisaufenthalte und mehr Verurteilungen wegen jeglichsten Gewaltdelikten, mehr Herzinfarkte, mehr Alkoholismus. Grund genug also, um diese Schubladisierung aufzubrechen. Durch die klaren Rollenbilder verunmöglichen wir schliesslich zig Menschen einfach sich selbst zu sein. Wir schränken sie ein auf die vorgelebten, aktuell eher einfältigen, Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit. Was unsere Gesellschaft braucht ist mehr Vielfalt und dadurch auch mehr Feminismus. Wir brauchen mehr Gleichberechtigung und weniger starre Rollenbilder, von denen profitiert niemand. Das weit über eine halbe Million Frauen das verstanden hat, haben wir am 14. Juni klar gesehen. Für echte Gleichstellung müssen sich aber auch Männer engagieren. Der Vorteil ist ja aktuell, dass Männern v.a. auch von anderen Männern zugehört wird.
Deswegen kommt daraus folgend eine ganz wichtige Aufgabe für die Männer: Redet darüber. Auch wenn das Klischee besagt, dass Männer schlecht über Gefühle reden können. Sprecht ruhig an, wenn ihr keinen Bock habt über eure Penislänge zu plaudern. Sprecht ruhig an, wenn ihr es als Druck empfindet eine Familie zu ernähren. Sprecht ruhig an, wenn ihr euch scheisse fühlt, weil ihr nicht die gleichen tollen Muskeln habt, wie die ganzen Fitness-Cracks. Sprecht ruhig an, dass ihr Margarete Stokowskis Bücher lest und empfehlt diese, und ihre Kolumne weiter. Sprecht ruhig an, wenn ihr in der Arbeit versinkt und nicht mehr weiter wisst. Sprecht ruhig an, wenn euch etwas verletzt hat und ihr daheim unter der Bettdecke am schluchzen wart. Sprecht ruhig an, dass euch diese Rollenbilder nerven. Sprecht ruhig an, wenn ihr nur aus Überforderung lacht, wenn jemand euren nicht so dichten Bartwuchs disst. Sprecht ruhig an, dass ihr nicht immer den ersten Schritt machen wollt, dass ihr nicht immer zahlen wollt und dass ihr (vielleicht) auch ganz gerne Heiratsanträge bekommen würdet. Sprecht ruhig an, dass ihr die Weisheit nicht mit dem Löffel gefressen habt und von vielen Sachen schlicht keine Ahnung habt.
Sprecht ruhig an, wenn ihr nicht darüber diskutieren wollt, wie man die Mitarbeiterin/Klassenkameradin/Kommilitonin richtig durchzuficken hätte. Und sagt dann auch mal klar, dass das sexistischer Bullshit ist. Ich glaube an euch. Das packt ihr!