Halbwertszeit unseres Demokratieverständnisses

20.09.2015

Blog von Nationalratskandidat Daniel Gmür aus Oberwil
Die JUSO Baselland hat zusammen mit dem jgbB nordwest die Demokratie-Initativen lanciert. Genauer geht es um das Stimmrecht für Niedergelassene und eine Senkung des Alters für das aktive Stimmrecht auf 16 Jahre. Oftmals höre ich, wie die Idee dieser Initiativen als naiv und unnötig abgetan wird, denn wir hätten doch eine funktionierende Demokratie und diesebedürfe keiner Verbesserung. Doch ist das wirklich so?
Noch vor 50 Jahren war es allgemein undenkbar, dass Frauen sich am politischen Prozessbeteiligen könnten. Unsere Demokratie sei auch damals schon unverbesserlich gewesen. „Kein Bedürfnis für Veränderung“ war das Credo. Doch schon bald erkannte die Mehrheit, dass diese Selbstverständlichkeit hinterfragt werden kann und soll. Heute, über 40 Jahren nach dieser bedeutenden „Demokratierevision“, blicken wir als Gesellschaft berechtigterweise selbstkritisch zurück: Warum kam die Einführung des Frauenstimmrechts erst so spät? Einem wesentlichen Teil unserer Bevölkerung wurde das Mitbestimmungsrecht verwehrt.
Ähnlich verhält es sich mit dem Mindestalter, welches wir für politische Mitsprache voraussetzen. Heute ist es undenkbar, zumindest für einen Grossteil, dass 18- und 19-Jährige nichts zum politischen Geschehen beitragen dürfen. Noch Ende der 70er-Jahre scheiterte ein entsprechendes Begehren an der Urne. Die Stimmbevölkerung änderte ihre Meinung erst 1991 mit der Einführung des Stimmrechtsalters 18. Auch hier fragen sich viele, warum dies erst so spät möglich wurde.
Beide Male waren die Begehren, welche den Absolutheitsanspruch unserer demokratischen Rechtsgrundlagen in Frage stellten und sie den zeitgemässen gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen wollten, zuerst chancenlos und wurden zum Teil als extrem betrachtet. So sieht es zur Zeit leider mit dem Stimmrecht ab 16 und für Niedergelassene aus. Aber ist diese Forderung wirklich extrem? Sind 16-Jährige nicht auch dazu fähig, ihre Meinung kundzutun und mitzureden? Die meisten haben in diesem Alter bereits zu arbeiten oder eine weiterführende Schule begonnen, also lebensverändernde und wichtige Entscheidungen getroffen.
Sind denn Niedergelassene nicht genauso ein Teil unserer Bevölkerung und sind sie nicht genau so stark von politischen Entscheidungen betroffen wie Personen mit dem Schweizer Pass? Sie zahlen gleich Steuern und besuchen die gleichen Schulen, mit einer Niederlassungsbewilligung ist man definitiv ein Teil der Schweiz. Zur Zeit der heutigen Mobilität ist die Voraussetzung des Bürgerrechts für die Mitsprache definitiv zu hinterfragen. Wir schliessen einen Teil unserer Bevölkerung komplett aus Entscheidungsprozessen aus und erschweren so zum Teil deren Integration.
Zu oft verstecken wir uns hinter der Argumentationsscheue; „Das war doch schon immer so und hat immer gut geklappt“. Doch Demokratieverständnis ist keine zeitlose Doktrin. Ähnlich wie viele andere gesetzliche Selbstverständlichkeiten, hat es ein Ablaufdatum, einen Zeitpunkt, zu welchem gesellschaftliche Veränderungen der Politik vorausgehen und jene veralten lassen. Dann hilft nur kritisches Hinterfragen: Sind die Verwehrung politischer Rechte für gewisse Bevölkerungsgruppen nicht überholt? Wir müssen unsere Demokratie ständig erneuern, anpassen und verbessern. Ich hoffe, dass wir uns in 30 Jahren fragen und wundern werden, wieso wir das Stimmrechtsalter 16 und politische Mitsprache für Niedergelassene erst in den 2010er-Jahren eingeführt haben.